Zum Internationalen Tag der Muttersprache (21. Februar)
Der Internationale Tag der Muttersprache sei mir Anlass, über den Zustand unserer Muttersprache nachzudenken. Kein Zweifel, es gibt Grund zu klagen, aber es gibt auch Positives festzustellen.
Das Gute ist, dass sich unsere Sprache als sehr lebendig, veränderlich und geschmeidig erweist, um mit den Erscheinungen der Gegenwart Schritt zu halten. Ohne Unterlass werden Neologismen gebildet, entstehen neue Redensarten und werden Wendungen zu geflügelten Worten. Unser Deutsch integriert fremdsprachige Worte ohne Obergrenze. Der Volksmund ist weiter sehr erfinderisch und produktiv. Auch global gesehen, sieht es ganz und gar nicht nach einem Rückzug oder gar Verschwinden der deutschen Sprache aus. Im Gegenteil, weltweit wird viel Deutsch gebüffelt, denn Deutschland, die Schweiz und Österreich sind als Einwanderungsländer beliebt, gern wird an deutschen Hochschulen studiert und deutsche Unternehmen sorgen mit ihren Exporten – und manchmal auch Skandalen – für die Verbreitung deutschen Wortschatzes über alle Kontinente.
Was Sorgen bereitet
Auffällig sind die Niveauverluste in der sprachlichen Ausdruckskraft, die Häufigkeit grammatischer Fehler und das teils allzu bereitwillige Einpassen englischer Begriffe in unsere Sprache. Vielen Schulabgängern von heute bescheinigen Lehrer, Lehrausbilder und Universitätsdozenten mangelhafte Kenntnisse der deutschen Rechtschreibung und Grammatik und eine verminderte Fähigkeit der Ausdrucksweise.
Die Ursachen sind vielfältig
Mündliche und schriftliche Kommunikation über digitale Geräte machen alles einfacher und schneller. Geschriebenes und Gesprochenes fließt viel stärker ineinander als zu früheren Zeiten. Es wird geschrieben, wie gesprochen wird. Während der E-Mail- Verkehr noch weitestgehend die Gepflogenheiten der brieflichen Schreiben übernahm, sind seit SMS, Whats- App, Twitter und Online-Chats alle Regeln gefallen. Erlaubt ist, was (gerade noch) vom Empfänger verstanden wird. Dabei führen auch die nicht der Fingerkuppengröße entsprechenden Tastaturen auf den „Touchscreens“ zu höheren Fehlerquoten. Manchmal durchaus innovative Sprachverstümmelung ist die Folge. Schade nur, dass damit jeglicher Reichtum des Vokabulars sowie das Wissen um richtige Schreibung und den korrekten Satzbau verloren geht.
Ein Zweites sind die schlechten Vorbilder. Angesagte Zeitschriften, Internetforen und -blogs, Facebookseiten, Radio- und Youtube-Kanäle, die von Jugendlichen und der mittleren Generation täglich konsumiert werden, sind nicht gerade die Gralshüter eines verständlichen, gepflegten und richtigen Deutschs. Sind solche Sätze wie „Jamie-Lee Kriewitz ist The Voice of Germany“, die man dort finden kann, eigentlich noch in unserer Muttersprache verfasst? Nur ein klitzekleines „t“ macht diesen Satz zu einem (mehr oder weniger) deutschen Satz.
Die Sprache der Arbeitswelt und der heutige Firmenjargon sind ebenfalls keine guten Vorbilder. Das fängt schon bei den Berufsbezeichnungen an. Sieht man sich Stellenanzeigen der Gegenwart an, knobelt man vergeblich. Was zum Teufel treibt ein „Key Account Manager“ oder ein „Head of Operations“? Selbstdarstellungen in Unternehmensbroschüren oder auf Webseiten lesen sich wie eine Mischmasch-Geheimsprache, die nur Eingeweihte verstehen: „Das Portfolio des Kommunikationsdienstleisters umfasst im Inbound-Betrieb Leistungen wie Information, Beratung sowie User Helpdesks im Second- und Thirdlevel. Im Outbound-Betrieb reicht das Dienstleistungsspektrum von Leadqualifizierung über Cross- und Upselling bis zu Aftersales-Betreuung und Außendienstunterstützung.“ ?!
Es läuft kaum ein Film – auch nicht im Öffentlich- Rechtlichen Fernsehfunk mit seinem „Bildungsauftrag“ – in dem nicht nach „wegen“ der falsche 3. Fall benutzt würde: „wegen mir“, „wegen dir“, „wegen ihm“ usw. statt richtig: meinetwegen, deinetwegen, seinetwegen. Weswegen ist das so? Wegen des mangelhaften Sprachgefühls der Drehbuchschreiber, Schauspieler oder Synchronsprecher? Ja und nein. Gewiss wird auch wider besseres Wissen so falsch gesprochen, einfach um die gesellschaftliche Wirklichkeit abzubilden. Denn es wird mittlerweile fast überall so geredet. „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ (Bastian Sick) – das hat sich leider bewahrheitet. Falsche Vergangenheitsformen („lügte“ statt „log“) und falsche Befehlsformen („Helfe mir!“ statt „Hilf mir!“) sind weitere Beispiele. Aber auch das gehört eben zur Sprachentwicklung. Werden die fehlerhaften Formbildungen zum Allgemeingut, wandeln sie sich allmählich zur gültigen – und also richtigen – Form. Solche Prozesse lassen sich nicht aufhalten, ob es dem Einzelnen gefällt oder nicht.
Man darf auch nicht unerwähnt lassen, dass die Verwirrungen durch die halbherzigen Rechtschreibreformen und Diskussionen der Jahre 1998 bis 2006 zur umsichgreifenden Regelverwässerung beigetragen haben. Im Grunde benutzt nun jeder seine Privatrechtschreibung. Wenn wir ganz ehrlich sind, ist das im Privat- und Alltagsleben auch gar keine Katastrophe. Bedenklich ist eben nur, dass damit eine verbindliche, einheitliche Richtschnur für die Erlerner und Vermittler unserer Muttersprache verloren geht.
Inhaltliche Auszehrung
Indes ist unser Deutsch meines Erachtens der größten Gefährdung durch die inhaltliche Unterhöhlung ausgesetzt. Das einstmals so deftige, deutliche und direkte Deutsch, das auf den Punkt kommen konnte, ist im öffentlichen Raum heute verpönt. Politiker, die in kurzer, knackiger Form schwierige Zusammenhänge darlegen können, ohne nur Blabla zu sagen, sind bis auf wenige Ausnahmen verschwunden. Normal ist ein inhaltsleeres Kauderwelsch geworden, das niemandem wehtut und alles verspricht. Einer klaren Antwort kunstblumig auszuweichen, ist wie ein Leistungssport, den vor allem Spitzenpolitiker trefflich beherrschen. Selbstverständlich gibt es auch politische Pöbler im Gegentrend, die gerade besonders derb austeilen und verletzen wollen. Solche Kandidaten vereinfachen dann allerdings unzulässig, malen schwarz-weiß und gefallen sich in ihren extra markigen Sprüchen. Dann wird das klare Deutsch zu seiner negativen Ausprägung, aufgeladen mit Schimpfwörtern, Hass und Beleidigung. Es wird zum unerträglichen Politgebrüll verbogen.
Eine reiche Sprache braucht eine breite Palette an Nuancen und Abstufungen, von drastisch über diplomatisch bis dichterisch. Wo ist ein Politiker, der über diese ganze Klaviatur verfügt und damit etwas Ideenreiches, Belangvolles, Aufbauendes zu sagen hat? Heute haben alle „Handlungsbedarf“ und „müssen ihre Hausaufgaben machen“, sind mehr oder weniger „gut aufgestellt“ und sind vermeintlich „ganz bei uns“ …
Zur inhaltlichen Aushöhlung gehört leider auch die allgemein übliche Verhüllung bei Bezeichnungen von Gegenständen, Personen und Vorgängen. Dieses Phänomen ist auch als „political correctness“ bekannt. „Senioren“, „ältere Menschen“ wurden früher als „Alte“ bezeichnet. Niemand störte sich daran. Aus dem „Altenheim“ wurde die „Seniorenresidenz“. Dicke waren „dick“ und nicht „vollschlank“ oder „übergewichtig“ oder „Menschen mit Gewichtsproblemen“. Kein Mensch weiß mehr, wie er „Menschen mit dunklerer Hautfarbe als der des mitteleuropäischen Typs“ nennen soll, ohne irgendwem zu nahe zu treten. Bücher von Astrid Lindgren wurden deshalb sogar in Neuauflagen geändert. In den Grundschulen machen die Kinder keine „Fehler“ mehr, sie machen es „nur noch nicht ganz richtig“.
So verständlich und schön es ist, dass niemand durch die Mittel der Sprache öffentlich herabgesetzt werden soll, so unverständlich ist die Übertreibung dieser hehren Absicht. Es entstehen Sprachkonventionen, erstarrte Muster, die von vielen, aus der Angst anzuecken, übernommen werden. Das führt zu solchen Merkwürdigkeiten im Sprachgebrauch wie: „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Zweiter Sieger“, „Inobhutnahmeeinrichtung“ (statt „Heim“).
„Immer mehr weniger mobile Senioren“ war ein Bericht überschrieben, der sich damit befasste, dass die Zahl der alten Menschen steigt, die nicht mehr so gut zu Fuß sind. Auch zaubert man leider nicht aus Ausländern willkommene Inländer, indem man die „Ausländerbehörde“ in „Willkommensbehörde“ umbenennt. Es wäre schön, wenn es so einfach wäre! „Ausländer“ ist ein völlig sachlicher Begriff für Personen, die Bürger eines anderen Landes sind. Man darf sie so nennen. Wozu die Furcht vor klarer Benennung führen kann, haben wir an der Aufarbeitung der schrecklichen Taten aus der Silvesternacht von Köln gesehen. Die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats nahm weiter Schaden, weil Polizeibeamte sich eine Zensur auferlegten und die Herkunft der Straftäter aus Nordafrika zunächst verschwiegen. Sie lieferten damit nur erst recht Munition für Flüchtlingsgegner, die ohnehin überall „gelenkte Informationen“ und die „Lügenpresse“ wittern.
Auch für die Praxistauglichkeit und Zweckmäßigkeit einer „geschlechterneutralen“ Sprache steht der Beweis noch aus. Gender-Stern (Bsp.: „Bürger*innen“) und Unterstrich („Bürger_innen“) sehen geschrieben relativ geeignet aus. Beim Sprechen müssten sie aber immer wieder aufgelöst werden – zu dem umständlicheren „Bürgerinnen und Bürger“. Wird wirklich eine Frau diskriminiert, wenn man nur „Bürger“ sagt und unterschiedslos männliche, weibliche und ggf. gemischtgeschlechtliche Mitglieder des Gemeinwesens meint? Werden wir in den Zeitungen und Verlautbarungen eines Tages konsequenterweise auch von „Strohfrauen und Strohmännern“, „Verbrecherinnen und Verbrechern“ oder gar „Dummköpfinnen und Dummköpfen“ lesen müssen? Wichtiger als diese Debatten um das Sprachliche ist es doch, echte Gleichberechtigung im realen Leben – und nicht auf dem Papier, dem Bildschirm oder in der Sprechblase – zu schaffen.
Durch das Verwenden von politisch-menschlich-moralisch einwandfreien Formulierungen werden Texte aufgebläht und unverständlicher, entfernen sich von der Masse der Menschen, die (noch?) nicht so spricht. Übrigens verursacht diese neue Sprache auch Kosten: Texte werden nachweislich nicht nur komplizierter, sondern auch wesentlich länger. Mehr Papier, mehr Druckerschwärze und Tinte, mehr Strom wird verbraucht. All diese merkwürdigen Umschreibungen und Wortungetüme wie das schon genannte „Menschen mit Migrationshintergrund“ helfen ja nicht weiter und schützen nicht effektiver vor tatsächlicher Diskriminierung als die kürzeren Begriffe (in diesem Falle: „Migranten“). Entscheidend ist doch, wie wir mit diesen Menschen umgehen, wie wir sie behandeln, wie ernsthaft wir uns für ihre berechtigten Interessen einsetzen.
Nachbemerkung: Ich zeige nicht mit dem Finger auf andere und gestehe, so manches Mal bin ich selbst nicht besser. Wer trifft schon immer den richtigen Ton? Jedem unterlaufen auch mal ärgerliche Fehler und Schnitzer, die auch beim wiederholten Korrekturdurchgang leider überlesen werden.
Liebe Mutter SPRACHE, sei mir – nicht nur an deinem Ehrentag – dennoch wohlgesonnen!
Rüdiger Fuchs