Bartningallee 11/13, Montag, 19.7.2021

Gombrowicz-Gedenken ist eine kipplige Angelegenheit. Seine Mehrdeutigkeit, sein Hohn, sein Lachen sind bei solchem Bemühen immer dabei. Wie ehrt man eine Person, die allen konformistischen und formalen Akten der Würdigung kritisch gegenüber stand? Wie erinnert man an ihr Wirken in einer Stadt, so dass Gewesenheit wieder zur Anwesenheit, Vergangenes zur Präsenz wird?
Eingangs verwies Bernd Karwen vom Polnischen Institut genau auf diese Schwierigkeit, einen Individualisten, „der alles in Frage stellte“, in feierlicher Versammlung zu ehren. Was würde er zur Veranstaltung heute sagen? Ehrengast und Zeitzeugin Susanna Fels äußerte spontan: „Er würde uns verspotten!“ Es wäre aber traurig, hätten wir Witold-Gombrowicz-Leser nicht begriffen, dass wir uns jederzeit über jede vorgefasste Meinung – also auch über die seine – hinwegsetzen dürfen. Wir haben die Freiheit, mit ihm umzugehen, wie wir es für richtig halten.
Das polnische Ministerium für Kultur und Nationales Erbe und die Polnische Botschaft hielten es jedenfalls für ratsam, seinen Spuren in der deutschen Hauptstadt endlich ein Denkmal zu setzen.

Bevor die noch mit weiß-rot beschärpter Decke verhängte Gedenktafel feierlich enthüllt wurde, las die Schauspielerin Juliane Torhorst Abschnitte aus den „Berliner Notizen“ (dt. Übers. von Olaf Kühl). Gombrowicz verglich darin Berlin mit dem belebten Paris und der Einwanderermetropole Buenos Aires. Es folgten das vielzitierte Wort Gombrowicz’ von der „Menschenleere“ in Berlin Tiergarten und die bewegende Passage, als der Stipendiat der Ford-Stiftung von Osten her die Düfte Polens und den Vorgeruch seines Todes schmeckt.
Etwa dreißig Interessentinnen und Interessenten waren gekommen und lauschten den Ausführungen am Hauseingang Bartningallee 11/13. Die Geräusche vorbeifahrender S-Bahn-Züge auf den nahen Gleisen erschwerten hin und wieder das Verständnis. Unvermittelt, wie durch einen Schelmenstreich des Verehrten, entschleierte ein Windstoß die Tafel vor der Zeit. Eiligst wurde sie wieder verhüllt.
Dr. Jolanta Miśkowiec, die Vertreterin des Ministeriums, aus dessen Etat die Erinnerungstafel finanziert wurde, hielt die erste offizielle Ansprache, die später von Herrn Karwen dankenswerterweise auf Deutsch wiederholt wurde.
Seine helle Freude hätte Gombrowicz gehabt, sich im Anschluss daran vom Botschafter der Republik Polen in der Bundesrepublik lobpreisen zu hören: „Es besteht kein Zweifel, dass er einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist.“ Seine Exzellenz der Botschafter, Prof. Andrzej Przyłębski, führte zudem mit Stolz an, dass Gombrowicz den Nobelpreis nur knapp verpasste und ihn wohl, wäre er nicht zu früh verstorben, noch erhalten hätte … – Wer fühlte sich da nicht ein wenig an die „Zelebration“ durch den „Hwg. Gesandten Kosiubidzki“ in „Trans-Atlantik“ erinnert? – Prof. Przyłębski gab dem Ganzen im Folgenden aber Tiefe, indem er die philosophischen Ideen und Geistesleistungen von Gombrowicz betonte und als wegweisend für die Polnische Literatur bis hin zu den Gegenwartsautoren einordnete. Der Botschafter erinnerte auch an die üble Pressekampagne gegen Gombrowicz in der Volksrepublik, als dieser mit dem Stipendium der Ford-Stiftung in Westberlin lebte. Er meinte, die Verantwortlichen dafür hätten auf diese Weise die eventuelle Rückkehr von Gombrowicz in die Heimat verhindern wollen. Am Ende konstatierte der Diplomat, Philosophieprofessor und Kulturwissenschaftler Przyłębski: „Heute, dank des Phänomens der polnischen Solidarność-Bewegung, haben wir keine Teilung von Ost- und Westberlin mehr. Polen ist ebenfalls nicht mehr von der westlichen Welt abgetrennt, sondern wurde Teil des Westens. Das ist auch das Verdienst solch bedeutender Dichter wie Czesław Miłosz und Witold Gombrowicz.“
Der Moment der Enthüllung war herangerückt.

Unter Beifall wurde die Platte freigelegt. Sie ist im Stile des Berliner-Gedenktafel-Programms gehalten, aus Porzellan gefertigt und in Metall gerahmt (vgl. Foto ganz oben). Die Tafel hätte ihm doch geschmeichelt, denke ich. Ein verflüchtigtes ‚n‘ bei „Neoreklamen“, das ist nicht weiter dramatisch.
Vor der Wandtafel stellte der moderierende Bernd Karwen zu guter Letzt der Berlinerin Susanna Fels einige Fragen. Unter den Anwesenden ist sie die einzige, die Gombrowicz persönlich kannte. Und sie weiß viel davon zu erzählen. Sie war seine Freundin und Beraterin in vielen Dingen des Alltags, besorgte Einkäufe und Medikamente für ihn. Sie begleitete ihn ins Kaffeehaus und zu den Treffen mit anderen Literaten wie z. B. Günter Grass. Sie verwahrt noch heute Erinnerungsstücke, die sie aus Gombrowicz’ Händen erhielt. Von unschätzbarem Wert sind die Fotografien, die sie damals von ihm ablichtete. Ohne sie hätten wir kaum Bildzeugnisse seiner Berliner Zeit. Der freundschaftlichen Verbundenheit mit Gombrowicz hält Susanna Fels bis heute die Treue und sie steht mit vielen Persönlichkeiten, Künstlern und Institutionen, die sich mit seinem Leben und Werk beschäftigen, in Kontakt.

Die Hausgemeinschaft ist im Vorfeld über die Anbringung der Tafel informiert worden. Einige der Bewohner schlüpften während der Feierlichkeit an uns vorbei ins oder aus dem Haus und gingen ihrer Wege. Die Konfrontation mit dem Nachweis, dass hier ein berühmter Schriftsteller im 15. Stock gewohnt hat, ist spannend. War sein Name einigen zuvor bekannt? Wusste jemand von dem heute hoch geschätzten Vormieter? Wie vielen von ihnen wird die neue Tafel Anlass sein, sich einmal ein Werk des Geehrten zu besorgen und hineinzuschauen?
Die Gombrowicz-Stätte hat hier im Viertel illustre Gesellschaft, nicht nur mit der Akademie der Künste, die ihn seinerzeit auch kurz beherbergte, direkt nebenan. Das „Buchstabenmuseum“ unter der Stadtbahn befindet sich kaum hundert Meter entfernt (vielleicht ist das kleine ‚n‘ hierher abgewandert?).

Am Spreebogen auf der anderen Seite des Flusses fand ich die „Straße der Erinnerung“. Über eine der Büsten in der Nähe seiner Tafel hätte sich Witold Gombrowicz wohl gefreut: Thomas Mann. Zwar blickt der bronzene Thomas in die andere Richtung, dafür aber schaut das Hochhaus Bartningallee 11/13 mit seiner obersten Etage über Dächer und Fluss hinweg bis hierher.
Text und Fotos: R. Fuchs
Mein Dank gilt dem Polnischen Institut Berlin für die Einladung zur feierlichen Enthüllung.
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